Interview mit General Reinhard Günzel in der Berliner Wochenzeitung
JUNGE FREIHEIT am 27. Februar 2004
"Wer an ein Tabu rührt, muß vernichtet werden"
General a. D. Reinhard Günzel, ehemaliger Chef des KSK, über seine Entlassung, den Fall Hohmann und eine Bundeswehr, die "weder patriotisch noch soldatisch sein darf"
Herr General, Bundesverteidigungsminister Peter Struck hat Ihnen attestiert, Sie seien "verwirrt".
Günzel: Nun, ich habe mich bislang nicht als "verwirrt" betrachtet.
Sie sind Träger des Ehrenkreuzes der Bundeswehr in Gold - wie haben Sie das erlangt, so verwirrt, wie Sie angeblich sind?
Günzel: Ich bin in all meinen Kommandeurverwendungen - und dies war meine sechste - immer hervorragend beurteilt worden. Und man hätte mir die hochsensible Aufgabe, das Kommando Spezialkräfte (KSK) zu führen, auch nicht übertragen, wenn man nur den Hauch eines Zweifels an meiner geistigen oder charakterlichen Eignung gehabt hätte.
Wie kam der Verteidigungsminister Struck dann dazu, Sie - ohne Rücksicht darauf, daß ihn dies als verantwortlichen Minister eigentlich selbst desavouiert - als "verwirrt" zu bezeichnen?
Günzel: Tja, wer an einem Tabu rührt, der muß mit allen Mitteln vernichtet
werden. Minister Strucks Vorgehen erinnerte mich an die Methoden der
kommunistischen Herrschaft in Osteuropa, wo man Andersdenkende mitunter auch
als geisteskrank qualifizierte.
In der Literatur wird dieses Vorgehen allgemein als Kennzeichen einer repressiven Gesellschaft beschrieben.
Günzel: Ich bin zwar nicht eingesperrt worden, davon sind wir in Deutschland natürlich weit entfernt, aber etwas davon steckt tatsächlich im Vorgehen des Ministers. Es geht darum, das konservative Lager auszugrenzen, möglichst
auszumerzen - da kann gar nicht hart genug dreingeschlagen werden! Deshalb
auch all die Demütigungen, die man mich hat spüren lassen.
Zum Beispiel?
Günzel: Ich mußte mich als "verwirrt" verhöhnen lassen, mußte von meiner
Entlassung im Prinzip durchs Fernsehen erfahren, für die restlichen vier
Stunden bis zur endgültigen Entlassung wurde mir verboten, Uniform zu tragen
und Dienst auszuüben - ich saß im Vorzimmer des Inspekteurs des Heeres, wie
hätte ich da Dienst ausüben sollen? Mein Fahrer wurde weggeschickt - und das
schlimmste: Mir wurde verboten die Kaserne zu betreten um mich von meinen
Männern zu verabschieden. Ich habe mich nach Jahren gemeinsamen Dienstes mit
meinen Leuten bis heute nicht offiziell von ihnen verabschieden können! Man
hat mich von "meiner Welt" isoliert - wie einen Aussätzigen behandelt. Die
größte Demütigung allerdings war, mir die Formel "Für die dem deutschen Volk
geleisteten treuen Dienste ... Dank und Anerkennung" aus der
Entlassungsurkunde zu streichen. Nach fast 41 Jahren treuen Dienens und in
Anbetracht dessen, daß dieser Dank nach bisheriger Praxis nur demjenigen
verweigert wird, der sich schwerer krimineller Vergehen schuldig gemacht
hat, ist dies der schlimmste Versuch der Ehrabschneidung, den man einem
Soldaten zufügen kann.
Ging es ausschließlich darum, ein Exempel zu statuieren, oder spielt auch das Bedürfnis nach Rache an Ihnen als einem "Verräter" an der vom Ministerium gewünschten Weltanschauung eine Rolle?
Günzel: So habe ich es in der Tat empfunden. Denn nur so ist dieses wütende "Über-das-Ziel-Hinausschießen" bei der Behandlung meiner Person zu erklären.
Die Entlassung nach Paragraph 50 des Soldatengesetzes ist an sich nämlich
nur ein nüchterner Rechtsakt. Allerdings entscheidend war das gesellschaftliche Signal: Der Minister hat nicht einfach die Fassung verloren, sondern hat diesen Exorzismus systematisch inszeniert. Es ging darum, der Öffentlichkeit und der Bundeswehr zu demonstrieren, wie es einem ergeht, der von der ideologischen Linie abweicht.
Wie haben Sie genau von Ihrer Entlassung erfahren?
Günzel: Ich war am 4. November gerade zu einer Dienstaufsicht in der
Internationalen Fernspähschule der Bundeswehr im schwäbischen Pfullendorf,
als mich ein Anruf aus dem Informations- und Pressestab der Bundeswehr
erreichte. Der Offizier hat mich nach einem Brief an den
CDU-Bundestagsabgeordneten Hohmann gefragte, den ein ZDF- Journalist bei ihm
vorgewiesen habe, der nun wissen wolle, ob dieser authentisch sei. Ich war
verwundert, bestätigte aber, was ich bestätigen konnte.
Ahnten Sie, was folgen würde?
Günzel: Mir schwante Böses, ich rechnete aber nie und nimmer mit einem
solchen Haß gegen mich.
Sie setzten Ihren Besuch in Pfullendorf fort.
Günzel: Ja, doch eine halbe Stunde später erreichte mich ein zweiter Anruf,
diesmal eines Offiziers des Führungsstabes des Heeres, der darum bat, ihm
den Brief zuzufaxen, was mein Büro sofort erledigte. Dann rief mich mein
Divisionskommandeur an, der aber nur wissen wollte, ob die genannten Fakten
zuträfen. Schließlich klingelte der Befehlshaber des Heeresführungskommandos
an und legte mir nahe, meinen Abschied anzubieten. Da ich mir keines
Fehlverhaltens bewußt war, lehnte ich dies ab, beziehungsweise bat mir
Bedenkzeit aus. Die Antwort: "Gut, rufen Sie mich bis 16 Uhr zurück - aber
bis dahin hat der Minister dann schon entschieden." Wie, das konnte ich mir
ausrechnen und kurz darauf im Fernsehen sehen. Niemand machte sich an diesem
Tag die Mühe, mich zur Sache selbst zu befragen, zum Beispiel welche
Redefassung mir eigentlich vorgelegen hatte. Es wurde mir befohlen, mich am
nächsten Tag um 14 Uhr beim Inspekteur des Heeres im
Verteidigungsministerium zu melden. Dort ließ man mich vier Stunden warten,
bis am Abend die unterzeichnete Entlassungsurkunde per Flugzeug aus Berlin
eintraf. Um 14.15 Uhr wurde mir das erste Mal Gelegenheit gegeben, gegenüber
einem subalternen Beamten zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Aber da war
meine Entlassung bereits beschlossen, verkündet und unterschrieben - es war
eine Farce. Ich habe dann darauf verzichtet, mich gegenüber diesem Beamten
zu erklären. Es ist also reiner Zynismus, wenn Minister Struck behauptet,
ich sei vor meiner Entlassung von einem seiner Beamten gehört worden.
Währenddessen wurde Ihr Fahrer angewiesen, ohne Sie zurückzufahren - Sie
seien nicht mehr im Dienst.
Günzel: Man wollte mir offensichtlich obendrein die Schmach antun, nach 41
Dienstjahren auch noch mit der Bahn nach Hause fahren zu müssen.
Ihr Fahrer widersetzte sich jedoch.
Günzel: Und er sagte das - als einfacher Mannschaftsdienstgrad gegenüber dem
Oberstleutnant, der ihn angewiesen hatte - rundweg ins Gesicht. Und wenn er
einen Leihwagen nehmen müsse, war seine Antwort. Das hat gewirkt, man ließ
ihn gewähren.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie bei Übergabe der Entlassungsurkunde entdeckten, daß die obligatorische Dankesformel fehlte?
Günzel: Da ich nach der Rechtslage wußte, daß ich nicht wegen persönlicher
Schuld, sondern aus Gründen der Staatsraison entlassen wurde, kam ich nicht
im Traum auf den Gedanken, daß man mir die Dankesformel vorenthalten würde.
Erst später wurde mir klar, daß all dies - wie schon bei Hohmann - Teil des
Schauspiels war, zum Ritual dieser Teufelsaustreibung dazugehörte. Mir wurde
klar, daß gar nicht ich der Adressat war, sondern die Öffentlichkeit.
Wie war die Reaktion in Ihrer Truppe?
Günzel: Im Gegensatz zu meinen Vorgesetzten und Generalskameraden war die
Reaktion meiner Untergebenen solidarisch. Die Männer waren schlicht
schockiert. Da standen Tränen in den Augen. Einige wollten spontan ihr
Barett hinwerfen. Ich habe sie aber davon abgehalten - was hätte das schon
genutzt?
Haben die Männer es als einen Schlag ins Gesicht des KSK empfunden?
Günzel: Auf jeden Fall. Eben ist das KSK noch für seinen Einsatz in
Afghanistan gelobt worden, und nun wird es durch einen solchen Umgang mit
seinem Kommandeur, der wie ein Hund fortgejagt wird und dem man den Abschied
von seiner Truppe verweigert, beleidigt.
Was wäre passiert, wenn auch einige Ihrer Offizierkameraden, einige Generale gegen Ihre Entlassung protestiert hätten?
Günzel: Ich habe gar nicht erwartet, daß sie das tun, denn nach Paragraph 50
des Soldatengesetzes hat der Minister das Recht zur Entlassung ohne Angabe
von Gründen. Aber man hätte erwarten können, daß sie gegen eine
"unehrenhafte" Entlassung protestiert und mir ihren menschlichen Beistand
versichert hätten. Ganze fünf von 120 Generalen des Heeres haben mich später
angerufen beziehungsweise mir geschrieben. Und das, obwohl ich eine wahre
Flut von Zustimmung von der "militärischen Basis", also aus dem Kreis der
niederen Dienstgrade erhalten habe. Ich habe über 1.000 Zuschriften auch von
ehemaligen Soldaten, darunter viele Generale, ja sogar zustimmende
Zuschriften aus dem europäischen Ausland, bekommen. Ich glaube, ein
gemeinsamer Protest einiger militärischer Führer hätte schon etwas bewirkt.
Und daß meine direkten Vorgesetzten mich bis zum heutigen Tage nicht einmal
eines persönlichen Gespräches für würdig befunden haben, um auch einmal
meine Sicht der Dinge zu hören, verschlägt mir immer noch die Sprache, weil
ich - offensichtlich naiverweise - davon ausgegangen bin, daß Fürsorge und
Kameradschaft in der Bundeswehr einen deutlich höheren Stellenwert haben als
etwa in einer Konservenfabrik. Und nicht nur, weil sie im Soldatengesetz
verankert sind.
Ihre Offizierkameraden haben Sie nicht nur im Stich gelassen, sondern beteiligen sich sogar aktiv an Ihrer Ausgrenzung.
Günzel: Es ist natürlich bitter, daß mich einige Männer, mit denen ich über
dreißig Jahre durch dick und dünn gegangen bin, nicht mehr kennen, daß sie
mich meiden wie einen Aussätzigen. Paul Spiegel hat in der Friedman Affäre
geäußert: "Mag man ihm vorwerfen, was man will, er ist und bleibt mein
Freund." Da hätten sich die höheren Militärs eine Scheibe abschneiden
können. Einige meiner "Kameraden" waren aber nicht untätig. Sie haben mir
den Zutritt zu ihren Kasernen verboten, mich von ihren Gästelisten
gestrichen und ihre Kasinos für mich gesperrt. Vermutlich in der Hoffnung,
dafür vom Minister ein besonderes Fleißkärtchen zu bekommen. Das alles
zeigt, wie gut das System der Einschüchterung funktioniert. Meine Erledigung
durch ein "Standgericht" hat völlig ausgereicht, um die gesamte Truppe in
eine Art Panikstarre zu versetzen.
Sie und General Michael von Scotti sind bereits 1998 in der Soldatenvideo-Affäre vom Offizierkorps im Stich gelassen worden.
Günzel: Eigentlich war mir schon damals klar, daß eine besondere Solidarität
von seiten der Offizierkameraden nicht zu erwarten ist. Damals wurde ich als
Brigadekommandeur abgelöst. Der Grund war ein auf einem Truppenübungsplatz
gedrehtes Gewaltvideo, auf dem Exekutionen und eine Vergewaltigung
nachgestellt worden waren. Dieses Video war aber zwei Jahre vor meiner
Kommandoübernahme gedreht worden. Es war offensichtlich: Der damalige
Verteidigungsminister Rühe brauchte ein Bauernopfer, und niemand hat gegen
diese offenbare Ungerechtigkeit protestiert.
Ähnlich wie 1984 im Fall General Kießlings.
Günzel: Damals war ich erst ein frischgebackener Major, habe mich aber schon
sehr darüber gewundert, daß kein kommandierender General für Kießling
aufgestanden ist. Allerdings war dieser Fall für Außenstehende wesentlich
undurchsichtiger als der Fall Günzel. Anders als 1984 konnte 2003 jeder die
Dokumente - die Rede Hohmanns ebenso wie meinen Brief an ihn - in der Presse
nachlesen. Natürlich roch die Affäre Kießling schon nach einem zweiten Fall
Fritsch, und man hätte von den oberen Rängen durchaus mehr kritisches
Bewußtsein und Kameradschaftlichkeit für General Kießling erwarten können.
1938 entließ Adolf Hitler den General und Oberbefehlshaber des Heeres Werner Freiherr von Fritsch wegen angeblicher Homosexualität.
Günzel: Ja, und die Generalität der Wehrmacht setzte schließlich die
Rehabilitierung von Fritschs durch, weil sie ihn, der offensichtlich zu
Unrecht beschuldigt worden war, nicht fallenließ, sondern auch vor Hitler zu
ihrem Kameraden stand. Eine Leistung der Generalität, der vielgeschmähten
Wehrmacht - in einer Diktatur -, zu der die Generalität der Bundeswehr - in
einer Demokratie - bislang nicht imstande war. 1984 gab es in der Bundeswehr
keine Soldaten mehr, die noch in der Wehrmacht gedient hatten. Man kann also
im Fall Kießling durchaus die Bewährungsprobe des neuen Erziehungsideals der
Bundeswehr sehen. Heute blicken nicht wenige voll Verachtung auf die Zeiten
unserer Geschichte, die vom sogenannten Untertanengeist geprägt waren und in
denen es mit Sicherheit nicht weniger "Männerstolz vor Königsthronen" und
nicht weniger Selbstbewußtsein und Verantwortungsgefühl gegeben hat als
heute.
Allerdings belastet die Ehre der Wehrmacht nicht nur der Verrat an zwei Generalen während des "Röhm-Putsches" sondern vor allem die Duldung der Maßnahmen gegen die jüdischen Kameraden durch die Nationalsozialisten.
Günzel: Ich habe mich früher auch echauffiert, wie die Kameraden damals so
etwas nur haben geschehen lassen können. Inzwischen aber, nachdem ich mich
durch viel Lektüre mit dieser Zeit auseinandergesetzt habe, weiß ich, daß
diese Empörung der Selbstgerechtigkeit der Jugend entsprang. Mit dem, was
ich heute über die Nöte und Zwänge dieser Zeit weiß, bin ich nicht mehr
bereit, über irgend jemanden selbstherrlich den Stab zu brechen, wie dies
heute bei uns in dünkelhaftem Hochmut fast schon zum guten Ton gehört.
Aber die Aussonderung der jüdischen Kameraden war eine Sache, die ganz klar gegen den damaligen Soldaten-Kodex und gegen den tradierten Ehrbegriff der Konservativen in Deutschland verstieß.
Günzel: Das ist natürlich richtig, und natürlich sind diese Dinge ein Makel
auf dem Schild der Wehrmacht und nicht zu vereinbaren mit dem deutschen
Offizier- und Soldatenethos. Das sich aber bei anderer Gelegenheit auch
gegen die nationalsozialistischen Machthaber durchaus bewiesen hat. Ich
denke nur an das Ansinnen Görings, abgesprungene alliierte Flieger an ihren
Fallschirmen abzuschießen, was der General der Jagdflieger einfach abgelehnt
hat. Oder an den berüchtigten Kommissar-Befehl Hitlers, der von der
Wehrmacht weitestgehend ignoriert wurde.
Gibt es bei der Bundeswehr denn noch ein Offizier- beziehungsweise auch nur ein Soldatenethos?
Günzel: Nein, ein solches Ethos gibt es, so scheint mir, wirklich nicht
mehr. Wie soll es denn das auch geben bei einem "Beruf wie jedem anderen".
Als der früherer Inspekteur des Heeres General Schnez 1969 vom "Beruf sui
generis" sprach und eine Reform an Haupt und Gliedern forderte, ist er von
den Medien mit Hohn und Spott übergossen worden.
Wie war das, als Sie 1963 in die Bundeswehr eintraten?
Günzel: Ich gebe zu, ich habe diese Probleme damals als Anfangsschwierigkeit
nach dem verlorenen Krieg aufgefaßt und unterschätzt. Ich glaubte, mit der
Zeit würden die Wunden heilen, die Dinge sich bessern. Statt dessen wurde
die Situation immer schlimmer. Vielleicht war dies auch ein Nebenprodukt der
Achtundsechziger Kulturrevolution. Die sozial-liberale Koalition hat
schließlich an der "Ein Beruf wie jeder andere"-Vorstellung konsequent
weitergearbeitet, etwa mit der Unterstützung der "Leutnante 70", einer
Gruppe junger Offiziere, die damals unter anderem den Soldatenberuf
sozusagen als "Acht-Stunden-Job" propagierten. Damals wurde dem
Offizierkorps der Zahn gezogen, besondere ethische Verpflichtungen zu haben.
Und dies ist bis heute das Credo von Armee und Politik geblieben.
Welche Rolle spielt, daß der Primat der Politik - der theoretisch zu begrüßen ist - in der Praxis zu Hörigkeit statt zu reinem Gehorsam gegenüber der Politik geführt hat?
Günzel: Nach 1945 hatte man geglaubt, das Unglück von Weimar läge auch darin
begründet, daß die Soldaten, dank des Offizierethos, eine gewisse Autonomie
und damit eine Unverbindlichkeit gegenüber der Republik gehabt haben. Solch
einen Zustand wollte man bei der Bundeswehr von Anfang an verhindern. Statt
eines elitären Soldatenethos sollten die Deutschen nun Staatsbürger in
Uniform sein, also in direkter Verbindung mit ihrem demokratischen Staat
stehen. Theoretisch klingt das in der Tat gut; aber statt zu selbständigen
mündigen Persönlichkeiten wurden die Soldaten nun bar jeden Schutzes durch
eine Institution wie das Offizierkorps in direkter Abhängigkeit von der
Politik mehrheitlich zu devoten Erfüllungsgehilfen. Vielleicht ist der
"Staatsbürger in Uniform" doch ein zu hehres Erziehungsideal, und man erhält
im Ergebnis weder einen aufrechten Bürger noch einen richtigen Soldaten.
Das heißt, zu einem "20. Juli", der ja gerade aus dem der NSDAP verhaßten Offizierethos heraus in der Wehrmacht entstanden ist, wären die Offiziere der Bundeswehr gar nicht mehr in der Lage?
Günzel: Es ist delikat, daß ausgerechnet die Bundeswehr, die als einzige
Wehrmachtstradition den 20. Juli gelten läßt, mit eiserner Faust zuschlägt,
wenn der Primat der Politik auch nur im Ansatz angekratzt wird. Es ist also
pure Heuchelei, wenn die Verteidigungsminister von Strauß bis Struck die
Männer des 20. Juli in den Himmel heben, ihrer Generalität aber jeden Hauch
von geistiger Eigenständigkeit verbieten.
In den neunziger Jahren wurden Traditionsräume ausgeräumt und ein Vorläufer des "Kampfes gegen Rechts" in die Bundeswehr getragen. Wie hat die Truppe reagiert?
Günzel: Die Truppe hat das durchaus als Windhauch eines Klimas der Denunziation wahrgenommen, aber man hat sich daran gewöhnt und damit gelebt. Das Problem ist, daß das Verändern der Stimmung Millimeter um Millimeter
erfolgte. So konnte man in der Bundeswehr schließlich sogar die Wehrmacht verteufeln. Natürlich gibt es noch Männer in der Bundeswehr, die für die Tradition eintreten. Die Masse der Soldaten ist da jedoch zwangsläufig pragmatisch. Inzwischen gelten eben die "Rechten" als die
Vaterlandsverräter, so wie zu Adenauers Zeiten die "Linken". Nur mit dem Unterschied, daß die Mehrheit der Soldaten eigentlich immer noch konservativ ist. Ironischerweise erleben wir heute etwas, was wir in der deutschen Militärgeschichte vor 1945 eigentlich nur aus der Zeit des
Nationalsozialismus kennen: nämlich das Einsickern des Politischen in die
Armee. Dieses Phänomen gab es zur Kaiserzeit nicht, weil die Armee
"automatisch" auf den Dynasten ausgerichtet war, und auch nicht in der
Weimarer Republik. Erst im NS-System wurde die Armee zur Beute der Politik.
Daß wir heute Ähnliches erleben, und das auch noch ausgerechnet unter
Berufung auf eine scharfe Abgrenzung zum Dritten Reich, ist eigentlich eine
absurde Situation. Es gibt natürlich für das Offizierkorps immer tausend
gute Gründe, warum es besser ist, den Mund zu halten - so war das auch in
der Zeit des Nationalsozialismus.
Klingt, als sei die Bundeswehr die ideale Armee für den nächsten Diktator.
Günzel: Das ist sicher übertrieben. Aber im Führerkorps dieser Armee hat es
keine Diskussion zum völkerrechtlich nicht geklärten Angriff auf Serbien
gegeben. Ebensowenig, wie es keine interne Diskussion bei einem Irak-Einsatz
gegeben hätte. Es ist schon erstaunlich, wie leicht sich mündige
Staatsbürger in Uniform in alle Welt schicken lassen, ohne daß klar
formulierte deutsche Interessen dahinterstehen.
Pardon Herr General, aber als Chef des KSK sind Sie der Exponent dieses Phänomens par excellence!?
Günzel: Das ist das klassische Spannungsverhältnis des Soldaten, der sowohl
gehorchen muß, persönlich aber auch Zweifel hegt. Das ist - zugegebenermaßen
- ein Problem.
Was passiert mit Offizieren, die etwa eine nationale Orientierung an "deutschen Interessen" einfordern?
Günzel: Ich bin ja nicht der erste, der entfernt bzw. vergrault wurde.
Denken Sie zum Beispiel an die Generale Trettner, Panitzki, Grashey,
Krupinski und Schultze-Rhonhof. Bei denen, die nicht noch in der Wehrmacht
gedient hatten, wird die Reihe allerdings schon sehr dünn.
Oder denken wir an den jüngsten Fall, den angeblich seiner Entlassung zuvorgekommenen, im Januar zurückgetretenen Heeresinspekteur General Gerd Gudera.
Günzel: General Gudera ist zweifellos eher ein Konservativer und war schon
deshalb beim Minister sicher nicht sonderlich beliebt.
Es heißt, Unstimmigkeit über Ihre Behandlung habe zum verfrühten Abschied geführt.
Günzel: Davon ist mir leider nichts bekannt. Ich würde es im nachhinein sehr
begrüßen, wenn es so wäre.
Wann wird diese stillschweigende politische Säuberung in der Bundeswehr nach
Ihrer Einschätzung enden?
Günzel: Mit dem ersten scharfen Schuß.
Wie wirkt sich Ihrer Meinung nach Ihr eigener Fall auf die Bundeswehr aus - ist er nicht schon wieder vergessen?
Günzel: Erfahrungsgemäß kehren die Leute in der Tat ganz schnell wieder in
den Alltagstrott zurück. Dennoch glaube ich, daß mein Fall - und noch mehr
der Fall Hohmann, und das gilt übrigens vor allem für die Deutschen im
allgemeinen - im Unterbewußtsein gespeichert wird und den Unmut schürt.
Allerdings wird dieser wesentlich eher im Volk hochkochen als in der
Bundeswehr, die weitaus stärker dazu erzogen ist, das zu schlucken, was die
Politiker ihr verabreichen.
Wie wirkt sich dieser verdrängte Frust und diese Erziehung eigentlich auf die Kampfkraft der Bundeswehr aus?
Günzel: Die Bundeswehr krankt auch daran, daß es schon bei ihrer Aufstellung
nicht in erster Linie darum gegangen ist, als militärischer Verband
Schlagkraft zu entwickeln. Es war die Zeit der "Abschreckung". Vorrangig
war, unseren Alliierten schnell ein paar Divisionen hinzustellen. Und auch
in der folgenden Zeit ist alles getan worden, um zu verhindern, daß die
Bundeswehr eine Armee wie jede andere wird, das heißt sich auch wieder in
den nationalen Traditionen sieht, was nämlich bedingt hätte, bei der
Wehrmacht anzuschließen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es dann geradezu
erstaunlich, daß sich die Bundeswehr doch noch so gut entwickelt hat.
Auch der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld kommt in einem Interview mit der Zeitschrift "Sezession" zu dem Ergebnis, daß es sich bei der Bundeswehr nicht um eine Nationalarmee handelt.
Günzel: Es ging darum, eine funktionale Truppe - Abschreckung der
sowjetischen Bedrohung - mit übergeordneten westlichen Werten und unter
Kontrolle der Westmächte statt der Nation zu schaffen.
Solch eine Armee ist einmalig im Westen, ist dieser deutsche Sonderweg ein Unglück?
Günzel: Eine Armee, die sich nicht aus nationalen Wurzeln speist, ist
allemal eine unglückliche Konstruktion. Jeder Soldat wünscht sich, in einer
selbstbewußten und effektiven Armee dienen zu dürfen. Wenn man aber weder
patriotisch noch soldatisch sein darf, was bleibt dann noch übrig?
Wie kampfkräftig ist denn die Bundeswehr tatsächlich? Bislang bewältigt sie die für sie neuen internationalen Aufgaben schließlich augenscheinlich ebenso gut wie die Armeen anderer Länder.
Günzel: Eine Armee bewährt sich immer erst im Krieg. Auch die französische
Armee galt bis 1940 als die beste des Kontinents. Das Bild, das die
Bundeswehr bei ihren bisherigen Auslandseinsätzen abgibt, ist in der Tat
mindestens ebenso gut wie das der Armeen anderer Nationen. Das liegt zum
einen an dem hervorragenden Nachwuchs, der immer noch zu dieser Armee geht,
und zum anderen an einem offensichtlich immer noch gewissen soldatischen
Kern in unserem Lande. - Ich würde nicht "weil", sondern "obwohl"
formulieren.
Das Kommando Spezialkräfte zum Beispiel, das Sie bis 2003 befehligt haben, gilt als kampfstarker Elite-Verband.
Günzel: Natürlich gibt es auch fantastische, effektive Einheiten bei der Bundeswehr. Aber das KSK ist leider nicht typisch für die gesamte Armee.
Welche Motivation haben die Soldaten des KSK? Sind hier Soldatenethos und übergeordnete Werte wie Ritterlichkeit und Vaterland zu finden?
Günzel: Dieser Spezialverband ist noch zu jung, als das man auf diese Frage
eine abschließende Antwort geben könnte. Wohl die wenigsten KSK-Soldaten
wollen das christliche Abendland gegen die heranstürmenden "Horden von
Kommunisten", oder heute Islamisten, verteidigen. Vielmehr suchen sie, wie
junge Leute zu allen Zeiten, die Bewährung. Sie wollen zur Elite gehören und
suchen die Gemeinschaft Gleichgesinnter. Das sind Männer, die - im
übertragenen Sinne - auf den Mount Everest klettern wollen. Diesen Typ kann
man überhaupt nicht mit dem normalen Soldaten vergleichen, der die Masse der
Bundeswehrsoldaten ausmacht.
Glauben diese jungen Soldaten an den "Kampf gegen den Terror", wie ihn die
US-Regierung verkündet? Glauben sie tatsächlich daran, daß "Deutschland am
Hindukusch verteidigt wird"?
Günzel: Sie glauben durchaus an den Sinn ihrer Aufgabe, aber ob sie blind
die Politikerschlagworte glauben, bezweifle ich sehr. Dennoch macht sich die
Masse der KSK-Soldaten wohl mehr Gedanken über die praktischen als über die
übergeordneten Aspekte ihres Einsatzes.
Herr General, ist Ihnen nicht zu Recht der Vorwurf zu machen, daß Sie den
Brief an Martin Hohmann mit dem Briefkopf des Kommandeur KSK geschrieben
haben?
Günzel: Das ist mir immer wieder, auch von Freunden vorgehalten worden. Ich
habe mich bei einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages für die Zusendung
eines Redetextes bedankt. Ich habe nicht an einen privaten Freund, sondern
an einen Mandatsträger, einen Repräsentanten des Souveräns unserer Nation
geschrieben. Und diesem Amtsträger bin ich ebenfalls als "Amtsträger"
begegnet.
Es gibt nicht wenige Leute, die Hohmann vorwerfen, er habe Ihren Namen zur
eigenen Entlastung ausgeplaudert. Fühlen Sie sich von ihm verraten?
Günzel: Zuerst war ich rasend, wie konnte er einen persönlichen Brief im
Fernsehen präsentieren! Doch dann hat mir Hohmann den Vorgang geschildert:
Die ZDF-Leute von "Frontal 21" hätten ihn aufgesucht und mit ihm in dem
Tenor gesprochen, man sei ja ein seriöser Sender und er habe in den letzten
Tagen schließlich viel zu leiden gehabt. Jetzt wolle man auch einmal etwas
Positives über ihn berichten, und was es denn da so gäbe? Da habe er auf
seinen Schreibtisch gewiesen, wo - mein Brief obenauf - etliches an
Unterstützerpost gelegen habe. Er habe noch versucht, meinen Brief zur Seite
zu schieben, aber die Fernsehleute hätten darauf bestanden, daß er ihn
vorlese. Nachdem sie ihm das Versprechen gegeben hätten, sie würden die
Namen der Absender nicht bekanntmachen, las er vor.
Glauben Sie ihm?
Günzel: Ja, zumal er auch Zeugen hat.
Sie haben ihm verziehen?
Günzel: Ja.
Wann hat sich Hohmann bei Ihnen gemeldet?
Günzel: Zwei bis drei Stunden nach dem Bekanntwerden der Sache rief er mich
an, er war völlig fertig. Er sagte, er würde ohne zu zögern die Tortur der
letzten drei bis vier Tage noch einmal auf sich nehmen, wenn er das nur
rückgängig machen könne.
Warum hat Ihrer Meinung nach Hohmann diese Rede überhaupt gehalten?
Günzel: Jeder, der des Lesens mächtig ist und dem der komplette Redetext
vorlag, mußte von Anfang an wissen - was jetzt die Staatsanwaltschaft Fulda
auch bestätigt hat - nämlich, daß diese Rede weder antisemitisch noch in
anderer Art und Weise strafrechtlich zu beanstanden ist. Vielleicht haben
deshalb auch viele der etwas intelligenteren "Gutmenschen" die Rede nicht
direkt als antisemitisch, sondern als "unerträglich" bezeichnet. Nach meiner
Meinung wollte Martin Hohmann heute, sechzig Jahre nach Kriegsende, nichts
anderes als Normalität - mit anderen Worten "Gerechtigkeit für Deutschland".
Was heißt nach Ihrer Meinung normal?
Günzel: Ein normales Verhältnis zu unserer Geschichte, ein normales
Selbstbewußtsein. Bekenntnis des Geschehenen ja, Stigmatisierung nein.
Ebenso wie es der estnische Ministerpräsident Lennart Meri am 3. Oktober
1995 in seiner Rede in Berlin im Hinblick auf die geradzu pathologischen
Schämorgien in Deutschland festgestellt hat: "Deutschland ist eine
Canossa-Republik der Reue geworden. Man kann aber einem Volk nicht trauen,
daß sich rund um die Uhr in intellektueller Selbstverachtung übt." Und wie
zur Bestätigung dessen wirft es ein bezeichnendes Licht auf die Situation,
daß über den Entscheid der Staatsanwaltschaft Fulda von kaum einem Medium -
und wenn, dann nur versteckt und in wenigen Zeilen - etwas gemeldet wurde,
von der Jungen Freiheit einmal abgesehen. Man muß sich das einmal
vorstellen: Da stellt ein Mitglied des Deutschen Bundestages klipp und klar
fest, "daher sind weder die Deutschen noch die Juden ein Tätervolk" - worauf
ein Redakteur des öffentlich-rechtlichen Fernsehens unwidersprochen
behaupten kann, "Hohmann nennt Juden Tätervolk", und fast die gesamte Presse
bläst zu einer beispiellosen Hexenjagd. Man kann all das gar nicht glauben,
weil man doch annimmt, wir lebten in einem freien und demokratischen
Rechtsstaat. Ständig hat man das Gefühl, nun müsse man doch endlich aus
diesem bösen Traum aufwachen! Mir fiel da Lessing ein, der sagte: "Wer über
gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren." Die
Rede hat - das muß man begreifen - an ein Tabu gerührt. Und darauf steht nun
einmal - heute wie zur Zeit der Stammeskulturen - die jeweilige soziale
Höchststrafe. Da gibt es weder Anhörungen noch Rechtfertigungen noch
Verfahren, da läuft exakt dasselbe ewige Ritual ab wie vor Urzeiten. Das
hätte Hohmann wissen müssen - ich vermute sogar, eigentlich hat er gewußt,
daß dieser Tag über kurz oder lang einmal kommen würde.
Sie halten Hohmann für jemanden, den es zum Bekenntnis drängt und der
unterschwellig danach strebt, vielleicht auch dafür zu "brennen"?
Günzel: Ja, das glaube ich, denn es war nicht das erste Mal, daß Hohmann
Flagge gezeigt hat. Auch im Bundestag hat er bereits entsprechende
Stellungnahmen abgegeben.
Aber auch bei Ihnen scheint es eine entsprechende Disposition zu geben. Ihre
Frau quittierte Ihren Rauswurf mit der Bemerkung: "Das mußte ja einmal so
kommen."
Günzel: Im "Tell" steht der Satz: "Wär ich besonnen, wär ich nicht der
Tell."
Hat Sie die Reaktion der CDU auf den Fall Hohmann überrascht?
Günzel: Ja und ich war sehr enttäuscht, weil ich die CDU bislang immer noch
als "auf unserer Seite stehend" betrachtet habe. Daß sie sich dann so feige
in die Büsche schlagen und sich als so opportunistisch erweisen würde, hätte
ich nicht für möglich gehalten! Und daß ausgerechnet Edmund Stoiber mit
seinem Satz, Hohmann habe den Verfassungsbogen verlassen, den Prozeß gegen
Hohmann wieder angestoßen hat, nachdem Frau Merkel sich bereits darum bemüht
hatte, Hohmann zu retten, das ist ganz besonders unerhört. Eher hätte man
das von Merkel erwartet als von Stoiber!
Müssen Sie sich heute eingestehen, daß Sie sich all die Jahre ein falsches Bild von der CDU gemacht haben?
Günzel: Ich glaube, daß die überwiegende Mehrheit der CDU mit diesem Ablauf
nicht einverstanden war. Ich weiß aus vielen persönlichen Gesprächen, daß
die Stimmung in der Union seit dieser Affäre miserabel ist.
Meinen Sie nicht, daß die ganze Sache inzwischen schon wieder vergessen ist?
Günzel: Natürlich geht man zur Tagesordnung über, aber bei vielen bleibt die
Enttäuschung über die eigene Partei im Langzeitgedächtnis haften.
Warum hat die Union so gehandelt?
Günzel: Ich bin ganz sicher, sie hat es nicht aus Überzeugung, sondern aus
Angst vor der Antisemitismus-Keule getan. Die CDU hat damit die
Kollektivschuldthese - was sie natürlich niemals zugeben würde - de facto
akzeptiert. Aber ich bin sicher, eines Tages werden die Etablierten den
Bogen überspannen, ewig lassen sich die Bürger das nicht gefallen.
Von MORITZ SCHWARZ
Reinhard Günzel General a.D. wurde am 4. November 2003 von
Bundesverteidigungsminister Struck wegen eines Unterstützerbriefes an den
CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann entlassen. Der Brigadegeneral
kommandierte seit November 2000 das Kommando Spezialkräfte (KSK) der
Bundeswehr. 1963 meldete er sich freiwillig zur Fallschirmjägertruppe,
studierte Geschichte und Philosophie und diente in verschiedenen
Kommandeurverwendungen. Geboren wurde er 1944 in Den Haag. Der Vater war
Schauspieler und die Familie weilte wegen eines Engagements in Holland.
Aufgewachsen ist Günzel in Gütersloh, heute lebt er in Bekingen im Saarland.